An
Herrn Landrat Patt
Kreisverwaltung Neuss Fax-Nr. 02181/6012400
Sehr geehrter Herr Landrat Patt,
wir bitten Sie, nachstehenden Antrag in die Tagesordnung der kommenden
Sitzung des Kreistages am 24. September 1997 aufzunehmen:
Der Kreistag möge beschließen:
Die Kreisverwaltung richtet eine dem Kreisdirektor zugeordnete
"Beratungsagentur zur Initierung von Beschäftigung"
ein. Gleichzeitig wird ein Beirat gebildet, bestehend aus den
Vertretern der Unternehmensverbände, der Gewerkschaften und
der Arbeitsverwaltung, der der Beratungsagentur hinsichtlich der
Entwicklung von Wirtschaftsstrukturen und Arbeitsmarktperspektiven
beratend zur Seite steht.
Die Beratungsagentur sollte folgendes erfüllen:
Zielstellung:
Zielgruppe:
Langzeitarbeitslose Sozialhilfeempfänger, insbesondere Geringqualifizierte.
Aufgaben:
(Motivationsseminare, weitgehende Arbeitsplatzgarantie, sozialpädagogische
Betreuung, u.a.) mit dem Ziel der klaren Orientierung auf den ersten
Arbeitsmarkt.
Arbeitsweise:
Im Gegensatz zur bisherigen träger- oder beratungsorientierten
Praxis kann eine trägerunabhängige Beratungsagentur
einer ausschließlich am kreisumfassenden Bedarf orientierten
Planung folgen:
Beschäftigung initiiert werden kann.
Alle Initiativen der Beratungsagentur unterliegen einem genau
festzulegenden Controllingsystem der Erfolgsplanung und - kontrolle
und den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit. Nur so ist eine mittel-
und langfristige Wirksamkeit der Projekte, vor allem im Sinne
des Abbaus arbeitslosigkeitsbedingter Sozialhilfebedürftigkeit,
zu überprüfen. Im Bedarfsfall kann so rechtzeitig korrigierend
eingegriffen werden.
Begründung:
1997 hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln ein im Auftrag des Kreises Aachen erstelltes Gutachten mit dem Titel ,,Arbeitsplätze mit einfachen Qualifikationsanforderungen als strategische Variable der Beschäftigungspolitik in der Region Aachen" vorgelegt. Wenn nicht die konkreten Zahlen, so läßt sich doch die Tendenz auf den Kreis Neuss übertragen. Anlaß für den Kreis Aachen war die Erkenntnis, daß das beschleunigte Ausscheiden geringqualifizierter Arbeitskräfte aus dem Arbeitsprozeß in dieser Form weder finanziell noch sozialpolitisch länger durchgehalten werden kann. "Die Politik hat bisher mit eher klassischen Instrumenten wie ABM und Qualifizierung auf diesen zunehmenden Druck reagiert. Viele dieser Maßnahmen haben jedoch eher zur Verfestigung von Fehlentwicklungen als zur Problemlösung beigetragen. Ein Anfördern gegen schlechte Rahmenbedingungen für mehr Einfacharbeit kann die Probleme aber allenfalls verdecken, nicht aber lösen." (Zitat aus dem Gutachten).
Dazu kommt, daß eines der wirksamsten Arbeitsmarktinstrumente, im Jargon der Bundesanstalt für Arbeit Fortbildung und Umschulung (F+U) genannt, drastisch zurückgefahren wird.
Nimmt man dazu noch die Prognose der IHK Mittlerer Niederhein in ihrer Schrift von 7/97:
"Angesichts einer aktuellen Arbeitslosenzahl von 62 000 bedeuten dies ... allerdings, daß während der nächsten eineinhalb Jahrzehnte keine spürbare Entspannung am Arbeitsmarkt zu erwarten ist"(S.10), so ergibt sich zusammenfassend in den nächsten Jahren ein sich mehr und mehr verstärkender Handlungsdruck auf die Kommunen, insbesondere hinsichtlich der
Zielgruppe der langzeitarbeitslosen Sozialhilfeempfänger.
Da eine Veränderung der Rahmenbedingungen nur sehr eingeschränkt
auf kommunaler Ebene angegangen werden kann, muß vor Ort
nach neuen Strategien gesucht werden.
Um zu einer effektiveren Finanzierung von Beschäftigungspolitik
zu kommen, müssen die Kommunen stärker als bisher auf
die investive Verwendung knapper Mittel achten und sich weniger
auf die Rituale der Verschiebebahnhöfe der vielschichtigen
und inzwischen fast unüberschaubaren Förderlandschaft
im Kreis einlassen. Dies gelingt nur, indem sich der Kreis, in
engem Schulterschluß mit den Kommunen, zu einer aktiveren
Rolle in der Gestaltung von kommunaler Beschäftigungspolitik
entschließt. In einer 1995 vom Institut für Arbeitsmarkt
und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit veröffentlichten
exemplarischen Untersuchung mit dem Titel: "Fiskalische und
soziale Kosten-Nutzen-Analyse örtlicher Beschäftigungsförderung"
wird unter anderem zusammengefaßt: "Aufgrund dieser
Einmündung der Maßnahmeteilnehmer (in den allgem. Arbeitsmarkt)
amortisieren sich die von der Kommune zur Projektförderung
eingesetzten Mittel spätestens im dritten Projektfolgejahr.
Im Lauf dieses Jahres ergeben sich bereits bei moderater Kalkulation
(Wertschöpfungseffekte: Variante II; Konsumeffekte: Model
II) für die Kommune "schwarze Zahlen" ..., die
aus den Verschiedenen Nutzen-Effekten resultieren" (S.190
(10)).
Mit freundlichen Grüßen
Bündnis 90 / DIE GRÜNEN
im Kreistag Neuss
Erhard Demmer
Fraktionsvorsitzender