Bündnis 90/Die Grünen Kreistagsfraktion Neuss

Schulstraße 1; 41460 Neuss

Tel. 02131/166681 Fax 02131/166683

11. September 1997 Vögli/Dorner-Müller

An

Herrn Landrat Patt

Kreisverwaltung Neuss Fax-Nr. 02181/6012400

Sehr geehrter Herr Landrat Patt,
wir bitten Sie, nachstehenden Antrag in die Tagesordnung der kommenden Sitzung des Kreistages am 24. September 1997 aufzunehmen:

Der Kreistag möge beschließen:

Die Kreisverwaltung richtet eine dem Kreisdirektor zugeordnete "Beratungsagentur zur Initierung von Beschäftigung" ein. Gleichzeitig wird ein Beirat gebildet, bestehend aus den Vertretern der Unternehmensverbände, der Gewerkschaften und der Arbeitsverwaltung, der der Beratungsagentur hinsichtlich der Entwicklung von Wirtschaftsstrukturen und Arbeitsmarktperspektiven beratend zur Seite steht.

Die Beratungsagentur sollte folgendes erfüllen:

Zielstellung:

  1. Langzeitarbeitslosigkeit und arbeitslosigkeitsbedingte Sozialhilfebedürftigkeit durch eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu verhindern und damit die öffentlichen Haushalte zu entlasten.
  1. Auch auf dieser Ebene können Akzente zur Förderung des strukturellen Wandels gesetzt werden, wenn alle Aktivitäten sich konsequent an der regional eigenständigen Wirtschaftsstruktur des Kreises und den speziellen Bedürfnissen kleinerer und mittlerer Unternehmen orientieren.

Zielgruppe:

Langzeitarbeitslose Sozialhilfeempfänger, insbesondere Geringqualifizierte.

Aufgaben:

  1. Entwicklung von regionalen Eingliederungsmodellen, die sich orientieren an:

(Motivationsseminare, weitgehende Arbeitsplatzgarantie, sozialpädagogische

Betreuung, u.a.) mit dem Ziel der klaren Orientierung auf den ersten

Arbeitsmarkt.

  1. Beratung von Unternehmen bei der Personal- und Origanisationsentwicklung, die Darstellung und das Marketing der kommunalen Förderideen, die begleitende Qualifizierung der Zielgruppen sowie auch die Auswertung der Projekte.
  1. Umfassendes Beratungsangebot in allen Fragen der Beschäftigungspolitik für Geringqualifizierte.
  1. Optimierung der kommunalen Möglichkeiten, Beschäftigung zu initiieren durch amtsübergreifende Ansätze und Projekte, ganz im Sinne der Verwaltungsstrukturreform (interkommunale Zusammenarbeit).

Arbeitsweise:

Im Gegensatz zur bisherigen träger- oder beratungsorientierten Praxis kann eine trägerunabhängige Beratungsagentur einer ausschließlich am kreisumfassenden Bedarf orientierten Planung folgen:

  1. Aus der Strukturanalyse der Langzeitarbeitslosen ergibt sich der Schwerpunktbedarf (z.B. Personengruppen mit verschiedenen Qualifikationsprofilen und jüngere, langzeitarbeitslose Frauen).
  1. Genaue Überprüfung der kommunalen Möglichkeiten für nachhaltiges Wirtschaften (z.B. Straßenrückbau, Fuß- und Radwegebau, Landschaftsgestaltung, Wohnungsbau, Wohnumfeldverbesserung, Einrichtung von Recyclinghöfen o.ä., Freiraumgestaltung, Altlastensanierung, Renovierung von öffentlichen Gebäuden, Waldmehrungsprogramm u.v.m).
  1. Enger Kontakt zu Wirtschafts-, Handwerk- und Dienstleistungsbetrieben im Kreis bzw. zu deren Vereinigungen, um ein möglichst klares Bild von deren Bedarf und deren Möglichkeiten zu bekommen. Einbeziehung der Gewerkschaften.
  1. Enger Kontakt zur Arbeitsverwaltung und den Gremien, die über Bundes-, Landes- und EU-Mittel entscheiden.
  1. Ideen entwickeln, wie

Beschäftigung initiiert werden kann.

  1. Die so entstehenden Projektideen werden entweder in Eigenregie oder in Kooperation mit privatwirtschaftlichen Betrieben realisiert. Eine sinnvolle Alternative kann auch die Ausschreibung eines solchen Projektes sein. Bei der Entscheidung über die Realisierung einer Projektidee hat immer die wenigstens mittelfristige Schaffung von Arbeitsplätzen bzw. die Vermittlung in sozialversicherungspflichtige Arbeit Vorrang.

Alle Initiativen der Beratungsagentur unterliegen einem genau festzulegenden Controllingsystem der Erfolgsplanung und - kontrolle und den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit. Nur so ist eine mittel- und langfristige Wirksamkeit der Projekte, vor allem im Sinne des Abbaus arbeitslosigkeitsbedingter Sozialhilfebedürftigkeit, zu überprüfen. Im Bedarfsfall kann so rechtzeitig korrigierend eingegriffen werden.

Begründung:

1997 hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln ein im Auftrag des Kreises Aachen erstelltes Gutachten mit dem Titel ,,Arbeitsplätze mit einfachen Qualifikationsanforderungen als strategische Variable der Beschäftigungspolitik in der Region Aachen" vorgelegt. Wenn nicht die konkreten Zahlen, so läßt sich doch die Tendenz auf den Kreis Neuss übertragen. Anlaß für den Kreis Aachen war die Erkenntnis, daß das beschleunigte Ausscheiden geringqualifizierter Arbeitskräfte aus dem Arbeitsprozeß in dieser Form weder finanziell noch sozialpolitisch länger durchgehalten werden kann. "Die Politik hat bisher mit eher klassischen Instrumenten wie ABM und Qualifizierung auf diesen zunehmenden Druck reagiert. Viele dieser Maßnahmen haben jedoch eher zur Verfestigung von Fehlentwicklungen als zur Problemlösung beigetragen. Ein Anfördern gegen schlechte Rahmenbedingungen für mehr Einfacharbeit kann die Probleme aber allenfalls verdecken, nicht aber lösen." (Zitat aus dem Gutachten).

Dazu kommt, daß eines der wirksamsten Arbeitsmarktinstrumente, im Jargon der Bundesanstalt für Arbeit Fortbildung und Umschulung (F+U) genannt, drastisch zurückgefahren wird.

Nimmt man dazu noch die Prognose der IHK Mittlerer Niederhein in ihrer Schrift von 7/97:

"Angesichts einer aktuellen Arbeitslosenzahl von 62 000 bedeuten dies ... allerdings, daß während der nächsten eineinhalb Jahrzehnte keine spürbare Entspannung am Arbeitsmarkt zu erwarten ist"(S.10), so ergibt sich zusammenfassend in den nächsten Jahren ein sich mehr und mehr verstärkender Handlungsdruck auf die Kommunen, insbesondere hinsichtlich der

Zielgruppe der langzeitarbeitslosen Sozialhilfeempfänger. Da eine Veränderung der Rahmenbedingungen nur sehr eingeschränkt auf kommunaler Ebene angegangen werden kann, muß vor Ort nach neuen Strategien gesucht werden.

Um zu einer effektiveren Finanzierung von Beschäftigungspolitik zu kommen, müssen die Kommunen stärker als bisher auf die investive Verwendung knapper Mittel achten und sich weniger auf die Rituale der Verschiebebahnhöfe der vielschichtigen und inzwischen fast unüberschaubaren Förderlandschaft im Kreis einlassen. Dies gelingt nur, indem sich der Kreis, in engem Schulterschluß mit den Kommunen, zu einer aktiveren Rolle in der Gestaltung von kommunaler Beschäftigungspolitik entschließt. In einer 1995 vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit veröffentlichten exemplarischen Untersuchung mit dem Titel: "Fiskalische und soziale Kosten-Nutzen-Analyse örtlicher Beschäftigungsförderung" wird unter anderem zusammengefaßt: "Aufgrund dieser Einmündung der Maßnahmeteilnehmer (in den allgem. Arbeitsmarkt) amortisieren sich die von der Kommune zur Projektförderung eingesetzten Mittel spätestens im dritten Projektfolgejahr. Im Lauf dieses Jahres ergeben sich bereits bei moderater Kalkulation (Wertschöpfungseffekte: Variante II; Konsumeffekte: Model II) für die Kommune "schwarze Zahlen" ..., die aus den Verschiedenen Nutzen-Effekten resultieren" (S.190 (10)).

Mit freundlichen Grüßen

Bündnis 90 / DIE GRÜNEN

im Kreistag Neuss

Erhard Demmer

Fraktionsvorsitzender

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