„Eine für Alle“         Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Landtag NRW                  12. April 2013

  Martin Kresse

 

Forum 1 „Inklusives Leben im Quartier“ –

wie sichern wir Selbstbestimmung und Teilhabe im Alltagsleben?

 

 

Welche Konzepte gibt es für die Entwicklung eines inklusiven Gemeinwesens für einen Flächenkreis?

 

1. Ich beantworte die Fragen am Beispiel des Rhein-Kreis Neuss mit Praxisbeispielen, denn von einer Konzeption und einer alles durchdringenden Inklusiven Sozialraumgestaltung kann man noch lange nicht sprechen.

 

2. Im März 2010 hat die CDU-FDP Koalition den Landrat gebeten einen Bericht zum Thema „Inklusion“ vorzulegen und die praktischen Auswirkungen für alle Beteiligten im Rhein-Kreis Neuss darzulegen. Seit September 2010 arbeitet unter Leitung des Landrates der Arbeitskreis „Inklusion“. Der hat verschiedene Lebensbereiche von Menschen mit Behinderungen kennengelernt, allerdings noch keine konkreten Vorschläge für ein Inklusives Gemeinwesen erarbeitet.

Deswegen hat die grüne Kreistagsfraktion im Juni 2012 den Kreistagsantrag eingebracht, dem einstimmig zugestimmt wurde, auf Grundlage der Eckpunkte des Deutschen Vereins für einen Inklusiven Sozialraum die Inklusion im Rhein-Kreis Neuss voranzubringen. Um deutlich zu machen dass es sich dabei um eine Chefsache handelt sollt ein Inklusionsgipfel durchgeführt werden, der für Inklusion wirbt.

 

3. Am 07.12.2011 hat der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. „Eckpunkte des Deutschen Vereins für einen inklusiven Sozialraum" verabschiedet (DV 35/11 AF IV).

Diese Empfehlungen werden konsensuell erarbeitet und haben politische Bedeutung.

 

4. Dieser Text von Kommunen, den Ländern, Wissenschaft, Verbänden und Politik ist auf zwölf Seiten eine gute Zusammenfassung zur Inklusiven Sozialraumgestaltung: er beschreibt die Querschnittsaufgabe und ressortübergreifende Planung, kultursensibel, partizipativ usw.

 

5. Aufgrund der begrenzten Zuständigkeiten kann man leider keine umfassenden Erwartungen an die Kreise über ihre Handlungsmöglichkeiten beim Thema Inklusion stellen.

Der Rhein-Kreis Neuss hatte sich vor allen Dingen im Bereich der Altenhilfe Richtung „Inklusives Leben im Quartier“ auf den Weg gemacht und Einiges angestoßen.

 

6. Traditionell hat der Rhein-Kreis schon seit vielen Jahren eine „Kommission Silberner Plan“, darin arbeiten alle Fraktionen und die Freie Wohlfahrtspflege mit und geben Impulse zu Alternativen Wohnformen, Tagungen mit Bauträgern und Verbänden zur Quartiersgestaltung usw.

 

7. Im Sozial- und Gesundheitsausschuss des Rhein-Kreises hat man sich überwiegend mit der strategischen Frage beschäftigt, wie man den Kostenanstieg beim Pflegewohngeld begrenzen kann. Erfahrungen aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein und Berechnung des Bedarfs in einer Demographiestudie pro kreisangehörige Kommune sind deshalb hilfreich.

 

8. Kommunale Beschäftigungsförderung mit Altenhilfe verbinden: Haushaltsnahe Dienstleistungen und Betreutes Wohnen zu Hause; Service statt Umzug, soziale Kontakte und Sicherheit. (Raumpflege, Wäschepflege, Einkaufsservice, Alltagshilfe usw.)

Gesundheitskonferenz: Sturzprävention hält die alten Menschen länger mobil. Präventive Hausbesuche sind leider z.Z. noch am Widerstand der Wohlfahrtsverbände gescheitert.

 

 

Wie sehen Sie die Entwicklung beim selbständigen Wohnen im Quartier?

 

9. Wir müssen anerkennen, dass wir diesbezüglich noch ganz am Anfang stehen. Erst mal geht es darum, die Motivation für einen grundsätzlichen Wandel zu stärken und Verbündete zu begeistern.

 

10. Partizipation und Selbstbestimmung: Viele ältere Menschen wollen die hinzugewonnen Jahre aktiver, selbstbestimmter und mit sinnvollen Aufgaben verbringen. Die Lebenszufriedenheit älterer Menschen hängt in großem Maße davon ab, wie selbst bestimmt sie ihr Leben empfinden.

Dritter Sozialraum und neues Hilfesystem: Den  Dritte Sozialraum als Nahbereich zwischen erstem Sozialraum, dem Privatem und dem zweiten Sozialraum, dem Öffentlichen gilt es wiederzubeleben. Bildlich: Die Gartenbank vor der Tür oder das Leben im Viertel und in der Nachbarschaft. Herzustellen ist ein neue Bürger- Profi Mix, ambulant und trialogisch: Hilfesuchender, Profi, Bürgerhelfer.

Veränderte Wohn- und Lebensvorstellungen: Unterschiedliche Altersgenerationen und -milieus entwickeln sich. Hieraus ergeben sich unterschiedliche Erfahrungen, Lebensstile und eine kulturelle Vielfalt.

Sanierungs- und Anpassungsbedarf bei Wohnquartieren - u.a. durch Umsetzung UN- Behindertenrechtkonvention:  Eine wichtige Aufgabe für die Kommunen besteht darin, Sozial- und Stadtplanung darauf auszurichten, dass neue und zusätzliche Wohn- und Hilfeangebote für Menschen mit Hilfebedarf im normalen Wohnungsbau zu verankern sind und damit in den Wohnquartieren ein Angebot an Wohnraum für alle Lebenslagen geschaffen wird.

Die UN-BRK fordert in Artikel 19 […] a) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben;

Demografischer, sozialer und kultureller Wandel: Der demografische Wandel stellt die Stadt- und Sozialplanung nicht nur vor neue Herausforderungen und Aufgaben, sondern bietet auch Möglichkeiten für die Neuausrichtung der Infrastruktur und der Versorgungsformen und damit auch neue Perspektiven für die Menschen und für das Gemeinwesen. Es muss geklärt werden, welche Anforderungen an eine örtliche Infrastruktur gestellt werden müssen, um Isolation und Segregation entgegenzuwirken, wie ein Zusammenleben verschiedener Generationen im Quartier gestaltet bzw. organisiert werden kann und wie zugewanderte Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund besser als bisher integriert werden können.

Singularisierung: Neue Lebenslagen fordern das Sozialwesen stärker heraus: Alleinerziehende, Patchworkfamilien, hohe berufliche Mobilität. Allgemeines Ziel ist Integration ins Gemeinwesen

 

11. Leben im Quartier muss vor allen Dingen auf der Ebene der Städten und Gemeinden realisiert werden. Die Kommission Silberner Plan hat „Seniorenbörsen“ in allen Kommunen des Rhein-Kreises angeregt, um Alternativen zur stationären Seniorenhilfe aufzuzeigen und für eine Vernetzung der Angebote zu sorgen. In vielen Städten und Gemeinden haben wir ZWAR-Gruppen gebildet: Zwischen Arbeit und Ruhestand; Senioren ab 55 treffen sich in selbstorganisierten, stadtteilorientierten Gruppennetzwerken zur Freizeitgestaltung. In diesen Gruppen entsteht aber auch schnell der Wunsch zu einer Quartiersgestaltung zu kommen, weil keiner möchte gern ins Heim.

 

12. In der Wohnungswirtschaft ist überall ein Umdenken erkennbar: zur Mieterbindung und wegen des immer älter werdenden Klientel kooperieren sie bei größeren Bauvorhaben gerne mit einem Wohlfahrtsverband, um Beratung und einen sozialen Treff vorzuhalten. Dies wird oft über Mietnebenkosten refinanziert. Besonders ausgeprägt mit allen Elementen ist das ab 2007 im Quartier Südliche Furth in Neuss gelungen: im Treff 20 gibt es neben Beratung einen Mittagstisch, Hausaufgabenbetreuung und auch kultursensible Angebote. Natürlich kann man den Raum auch für Familienfeste nutzen. Darüber hinaus gibt es Laubengänge, die zum verweilen und klönen in der Nachbarschaft einladen. Schließlich wird auch im Quartier ein Pflegestützpunkt in einer Hausgemeinschaft vorgehalten. Also eine komplette Quartiersgestaltung.

 

 

Was muss verbessert werden?

 

13. Für ein Inklusives Gemeinwesen müssen wir weiter werben und obige Schritte ausweiten und weiter gehen in die Richtung Inklusive Sozialraumgestaltung.

 

14. Im gemeinsamen Weg, im Prozess, in der Gestaltung des Quartiers wird Identifikation mit dem Gemeinwesen geschaffen: Partizipation durch „Runde Tische“, Zukunftswerkstatt und Stadtteilkonferenzen oder Seniorenvertretungen.

Planungen in den Kommunen müssen ressortübergreifend und inklusiv und transparent ausrichtet sein und die Beteiligungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten müssen verbessert werden. Allerdings müssen wir hierzu auch die Handlungsmöglichkeiten der Kommunen weiter verbessern. In der wohnortnahen Beratung ist lokales Wissen zu nutzen. Professionelle Anstrengungen in der neuen Altenhilfe zielen auf Gemeinwesenorientierung, Prävention und Förderung der eigenen Kompetenzen und Selbstbefähigung, nicht nur auf einzelfallbezogene Aktivitäten

 

15. Neben den entsprechenden Wohn-, Pflege- und Unterstützungsangeboten wie Hausgemeinschaft und Pflegestützpunkt bedarf es auch quartiersnaher Dienstleistungen. Versorgungssicherheit ist im stationären Angebot leichter zu vermitteln, weil alles unter einem Dach ist. Im ambulanten wird Versorgungssicherheit  durch verlässliche Kooperationsbeziehungen erreicht. Der weitere Ausbau der traditionellen Großeinrichtungen muss verhindert werden, die Durchlässigkeit im Bestand von Einrichtungen muss hergestellt werden mit Hausgemeinschaften und Angeboten für das Quartier.

Martin Kresse * Von-Limburg-Str. 5

41352 Korschenbroich * Tel 02166/83904 Fax 135680
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