GAR-Artikel August 2002

Das neue Landesgesetz zur Altenpflege. Grundlegende Änderungen in Planung

Das Land Nordrhein-Westfalen plant, die finanzielle Förderung der Modernisierung und des Neubaus von Pflegeeinrichtungen zum 01.07.2003 grundlegend zu verändern.

Zur Zeit gibt es allein im Rheinland 1.089 voll- und teilstationäre Pflegeeinrichtungen mit insgesamt 82.666 Plätzen. Die Kosten der Hilfe zur Pflege beliefen sich im Rheinland im Jahr 2001 auf ca. 328 Millionen € für knapp 25.000 Menschen. Ende 2000 wurde bezogen auf die damalige Platzzahl für ungefähr 50 % der Plätze Pflegewohngeld gewährt.

Wie es war

Bisher haben die Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL) über eine sogenannte "Objektförderung" zinsfreie Darlehen in Höhe von 50 % der Bausumme für die Modernisierung und/oder den Neubau von Pflegeeinrichtungen gewährt. Hierzu musste beim jeweiligen Landschaftsverband ein Antrag auf Förderung gestellt werden, über den die Sozialausschüsse im Rahmen der vorhandenen Haushaltsmittel entschieden. Bis zum Jahr 2000 hat sich auch das Land Nordrhein-Westfalen an diesen Kosten beteiligt. Seit dem letzten Jahr werden die Kosten nur noch von Landschaftsverbänden aufgebracht. Im letzten Jahr wurden im Rheinland zu Lasten der folgenden Haushaltsjahre ca. 154 Mio. DM für insgesamt 28 Bauprojekte bewilligt.

Im Rheinland wurden für eine Förderung die Kriterien des Landespflegegesetzes und ein Raumprogramm vorausgesetzt, das der Sozialausschuss beschlossen hatte. Z. B. mussten bei der Modernisierung großer Einrichtungen die Platzzahlen abgebaut werden, Neubauten durften eine Größe von 80 Plätzen nicht überschreiten. Die Einzelzimmer sollten 80 % der Zimmer ausmachen. Wichtig war dem Landschaftsverband Rheinland darüber hinaus eine Raumplanung, die das Zusammenleben in Gruppen ermöglicht und die insbesondere auch dem speziellen Bedarf altersverwirrter Menschen gerecht wird.

Die Landschaftsverbände mussten den Bedarf an neuen Plätzen bestätigen. Diese Bedarfsbestätigungen fußten auf den Empfehlungen der jeweiligen Städte und Kreise. Ziel war dabei, Überkapazitäten zu verhindern.

Aufgrund der schwieriger werdenden finanziellen Situation der Landschaftsverbände und auch der Tatsache, dass das Land Nordrhein-Westfalen seit 2001 nicht mehr mitfinanziert, kam es zunehmend zu einer Mangelverwaltung. Grobe Schätzungen der beiden Landschaftsverbände gehen davon aus, dass derzeit in NRW insgesamt für die Modernisierung bestehender Heime 3,75 Mrd. € und für Neubauten 1 Mrd. € investiert werden müssten.

Welche Gesetzesänderungen sind geplant

Erste Eckpunkte für eine Änderung des Landespflegegesetzes wurden durch mündliche Äußerungen des Ministers und des Ministeriums auf Veranstaltungen und in der Presse bekannt gemacht.

Andere Förderung

Zukünftig sollen öffentliche Mittel nur noch im Rahmen der sogenannten "Subjektförderung", also dem Pflegewohngeld zur Verfügung gestellt werden. Das heißt: Nach dem ein Neubau oder eine Modernisierung fertiggestellt ist, werden die Investitionskostenanteile am Pflegesatz durch die zuständige Behörde errechnet und festgelegt. Reicht das Einkommen eines Heimbewohners oder -bewohnerin nicht aus, um diesen Investitionskostenanteil zusätzlich zum restlichen Pflegesatz zu bestreiten, kann Anspruch auf Pflegewohngeld angemeldet werden. Das Pflegewohngeld hat nach Landespflegegesetz eine Höchstgrenze von 1.400,-- DM pro Monat.

Wenn zukünftig die gesamten Investitionskosten im Pflegesatz berücksichtig werden – und nicht wie bisher lediglich 50 % – ist damit zu rechnen, dass – bezogen auf den Einzelfall – der Investitionskostenanteil am Pflegesatz, deutlich ansteigen wird. Somit wird auch die Anzahl der Empfänger und Empfängerinnen von Pflegewohngeld steigen. Gleiches gilt für den Anteil der Bewohner und Bewohnerinnen, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen.

Allein zuständiger Sozialhilfeträger ist die Kommune

Zukünftig soll das Pflegewohngeld nicht nur einkommensabhängig, sondern auch vermögensabhängig gewährt werden. Letzteres wird die Kreise und kreisfreien Städte ein wenig entlasten, die in Zukunft als alleiniger Sozialhilfeträger für die Kosten der Pflege zuständig sein werden. Seit dem Jahr 2001 ist das Pflegewohngeld durch den zuständigen Kreis oder die zuständige kreisfreie Stadt zu leisten. Seit 2001 zunehmend und ab 2004 vollständig gilt dies auch für die Hilfe zur Pflege nach BSHG.

Keine Bedarfsbestätigung

Es zeichnet sich ab, dass zukünftig hinsichtlich der Schaffung neuer Plätze in einer Region keine kommunale Steuerung über die Pflegebedarfsplanung mehr erfolgen soll. Ein Urteil des Bundessozialgesetzes aus dem letzten Jahr legt nahe, dass eine verbindliche Bedarfsplanung über die Vergabe der öffentlichen Zuwendungen den Grundsätzen des Prinzips des freien Marktes, wie es im SGB XI vom Grundsatz her angelegt ist, widerspreche. Diese Rechtsprechung soll im Landespflegegesetz umgesetzt werden. Damit können die Kommunen die Zahl der Plätze nicht mehr steuern.

Was ist mit den Baustandards?

Bisher war es so, dass die Qualität eines Raumkonzeptes bei einer Baumaßnahme vor einer finanziellen Förderung geprüft und auch vom Kostenträger beeinflusst wurde. Zukünftig wird auch die Qualität der Baustandards vom Bauherrn alleine verantwortet. Wenn er allerdings eine Refinanzierung seiner Baukosten erzielen möchte, wird er gut beraten sein, mögliche Qualitätskriterien, die auch in einem neuen Landespflegegesetz festgelegt werden können, zu beachten.

Wie wirkt sich der hohe Bedarf an Modernisierungsmaßnahmen auf die kommunalen Haushalte aus ?

Mit der geplanten Gesetzesänderung entscheidet allein der Einrichtungsträger selber über Zeitpunkt und Umfang der Modernisierung oder den Bau einer neuen Einrichtung. Theoretisch wäre denkbar, dass alle möglichen oder geplanten Modernisierungs- und Neubaumaßnahmen gleichzeitig beginnen.

Welche Aufgaben übernehmen die Landschaftsverbände zukünftig?

Sie werden nur noch an den Pflegesatzverhandlungen beteiligt sein.

Und sie werden die Hilfe zur Pflege auch nach 2004 weiterhin übernehmen für die pflegebedürftigen Menschen, die das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht haben so wie für behinderte Menschen, die altersbedingt die Leistung einer Pflegeeinrichtung in Anspruch nehmen müssen und vorher in einer Wohneinrichtungen für behinderte Menschen gelebt haben.

Martina Hoffmann-Badache
Leiterin des Dezernates Soziales, Integration beim LVR

Aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im LVR:

Weniger Qualität bei höheren Kosten

Selbstbestimmt und menschenwürdig leben, diese beiden Ziele verfolgen Grüne in ihrer Politik für alte oder behinderte Menschen. Diese Ziele umzusetzen, wird mit dem neuen Landespflegegesetz nicht einfacher. Das neue Landespflegegesetz wird dem Markt eine zentrale Stellung einräumen, wenn sich die bisher geäußerten Vorstellungen des Ministeriums durchsetzen. Die entscheidenden Fragen sind: Rechnen sich für den Markt Heimkonzepte, die sich an Selbstbestimmung und Menschenwürde orientieren und die die fachlich gewünschten Standards berücksichtigen? Können wir in den Kreisen und Städten für menschenwürdige Pflege sorgen und wohnortnah genügend Heimplätze bereitstellen?

Bisher waren die öffentliche Zuschüsse vom Landschaftsverband Rheinland an die Beratung gebunden und gewisse Kriterien musste erfüllt werden. Die fachlich versierte Beratung durch die Verwaltung überzeugte fast immer auch zunächst ablehnende Träger.

Problematisch war, dass die Fördermittel des Landschaftsverbandes nicht für die erfolgreich beratenen Projekte ausreichten. Lange Wartezeiten und ein Investitionsstau waren die Folge. Haushaltsanträge unserer Fraktion, zusätzliche Mittel bereitzustellen, scheiterten an FDP, SPD und CDU. Sie hielten uns entgegen, das Land müsse sich wieder an den Investitionskosten beteiligen (hätten wir auch begrüßt und haben es stets gefordert). Die kommunale Familie könne die Mittel nicht aufbringen.

Die neue Regelung wird die finanziellen Lasten ausschließlich der kommunalen Familie aufbürden, ohne dass sie Zahl und Qualität der Heime beeinflussen kann. Positiv an der Umstellung von der Objekt- auf die Subjektförderung ist, dass die Träger schneller ihre Bau- und Modernisierungsmaßnahmen realisieren können. Die Banken werden zumindest finanzstarken Trägern mehr Mittel zur Verfügung stellen, als dies der Landschaftsverband je könnte. Unklar ist, ob die Kirchengemeinden oder Vereine der freien Wohlfahrtspflege noch als kreditwürdig angesehen werden. Agieren am Ende immer weniger Träger am Markt?

Der Modernisierungsschub geht mit steigenden Pflegesätzen einher, da in diesen anteilig Investitionskosten berücksichtigt werden. Wir fürchten, dass eine Kostenlawine auf die Kommunen zukommt.

Die Kommune wird die Qualität der Heime nicht beeinflussen, sondern nur über die Heimaufsicht kontrollieren können. Mit Blick auf die Gesetzesnovelle wartet z. B. ein Kölner Investor auf den Baubeginn seines Projektes: Er will, so wurde uns berichtet, mehr als 300 Betten in einem Gewerbegebiet errichten.

Manch pflegewissenschaftlich längst veralteter Ladenhüter wird durch die Vordertür des Marktes drängen. Werden sie vom Markt verschwinden, weil sich alte Menschen gegen sie entscheiden? Wohl kaum. In Wirklichkeit haben alte, oft verwirrte Menschen nicht die freie Wahl auf dem Altenheimmarkt. Zu plötzlich müssen Entscheidungen getroffen werden, muss der Heimplatz innerhalb kurzer Zeit zur Verfügung stehen. Die Angehörigen sind oft selbst überfordert oder gar gleichgültig. Vielleicht ist der ein oder andere Kämmerer angesichts leerer Kassen auch froh über ein (billiges) Großheim. Unklar ist auch, ob der Markt auch weiterhin Spezialangebote für demenzerkrankte Menschen oder WachkomapatientInnen vorhalten wird, denn diese sind teuer.

Wir können nicht allein auf den Markt setzen, wenn es um ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben für alte Menschen in Heimen geht. Das neue Landespflegegesetz muss genaue Qualitätsstandards vorschreiben. Dabei sollten wir nicht vergessen, wir sprechen hier von den Heimen, in denen wir selbst uns wiederfinden werden.

Damit menschenwürdig gepflegt wird, wollen wir Grüne in den Kreisen und Städten in Pflegekonferenzen oder Sozialausschüssen die Umstellung von der Objekt- auf die Subjektförderung zum Thema machen und haben eine Musteranfrage vorbereitet,

Martin Kresse,
sozialpolitischer Sprecher der LVR-Fraktion
Ulrike Kessing
Fraktionsgeschäftsführerin

Musteranfrage:

Auswirkungen auf die Kommune durch die Veränderung der Investitionsförderung für Pflegeheime

Anrede,

die Novelle des Landespflegegesetzes hat erhebliche Auswirkungen auf die Kommunen: Vorgesehen ist, die investive Förderung der Pflegeheime nicht mehr mit Darlehen des Landes und des Landschaftsverbandes Rheinland zu finanzieren (Objektförderung), sondern ganz über die jeweiligen HeimbewohnerInnen, die bei Bedürftigkeit durch das Pflegewohngeld oder ergänzende Sozialhilfe unterstützt werden (Subjektförderung). Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Sorge, dass den Kommunen eine erhebliche Kostenexplosion beim Pflegewohngeld und der ergänzenden Sozialhilfe droht. Die Kommunen werden alleine für die Investitionen zahlen müssen, aber über das Planungsrecht nur geringe Steuerungsmöglichkeiten und über die Heimaufsicht lediglich Möglichkeiten der Qualitätskontrolle bei den Einrichtungen haben.

Vor diesem Hintergrund fragen wir:

  1. Wie bewertet die Verwaltung die angekündigte Veränderung der Investitionsförderung im Landespflegegesetz?
  2. Welche allgemeinen Vor- und Nachteile sieht die Verwaltung bei einer Umstellung von Objektförderung zur Subjektförderung?
  3. Wie bewertet die Verwaltung die beabsichtigte Umstellung von Objektförderung zu Subjektförderung?
  4. Wie hoch ist im Kreis XY/in Stadt N der jetzige Bedarf an zusätzlichen Pflegeheimplätzen und wie wird er sich etwa entwickeln?
  5. Wie hoch ist im Kreis XY/in Stadt N der Bedarf an Modernisierungsmaßnahmen in bestehenden Pflegeheimen?
  6. Wie wird finanziell sich vor diesem Hintergrund in den nächsten Jahren voraussichtlich das Pflegewohngeld und die ergänzende Sozialhilfe darstellen?
  7. Wie bewertet die Verwaltung die finanzielle Entwicklung bei der Änderung der investiven Förderung für Pflegeheime?
  8. Welche Steuerungsmöglichkeiten sieht die Verwaltung, die Fortschreibung der kommunalen Bedarfsplanung umzusetzen?
  9. Welche Standards in den Heimen hält die Verwaltung für angemessen im Sinne einer menschenwürdigen Pflegesituation?
  10. Wie will die Verwaltung sicherstellen, dass fachliche Standards in der Altenhilfe in Pflegeheimen eingehalten werden wie z.B. gleichmäßige, wohnortnahe Bedarfsdeckung, Angebote für MigrantInnen, Angebote für demenziell erkrankte Menschen oder WachkomapatientInnen, sinnvolle Konzepte wie Betreutes Wohnen oder Hausgemeinschaften?
  11. Wie will die Verwaltung erreichen, dass die Trägervielfalt erhalten bleibt bzw. hergestellt wird und Konkurrenz um die günstigen Pflegeheimkosten nicht zu Lasten der Qualität in der Pflege geht?
  12. Wie will die Verwaltung die Träger in der Bauberatung unterstützen?
  13. Weil ab 2004 alle Kosten für die stationäre Pflege vom Kreis/der Stadt bezahlt werden müssen: Welche Möglichkeiten des "Umsteuerns" sieht die Verwaltung?

Siehe auch: www.gruene.lvr.de

Martin Kresse * Von-Limburg-Str. 5

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