Gedenkfeier der FI zur Reichsprogromnacht

vor der ehemaligen jüdischen Synagoge in Korschenbroich am 7.11.1992

Liebe Freundinnen und Freunde ausländischer Mitbürger!

Wir stehen hier vor der ehemaligen Synagoge in Korschenbroich. Mit Schuldgefühlen, mit Schuld?

Nazideutschland hat ein Unheil über die Welt gebracht, das nicht wiedergutzumachen ist. Deswegen mit Minderwertigkeitsgefühlen durch die Welt zu gehen wäre falsch. Wir in der Bundesrepublik können nämlich stolz darauf sein, daß unsere Verfassung eine historische Schuld ins positive gewendet hat durch das Versprechen, jedem politisch Verfolgten Asyl zu gewähren. Deutsche wie Willy Brandt, Albert Einstein oder Thomas Mann und etwa 800000 Namenlose haben damals vom Ausland profitiert, durch Asyl im Ausland die Nazis überlebt.

Zum ersten mal in unserer kurzen Geschichte wird unsere Glaubwürdigkeit auf ein Grundrecht erprobt. Dieses Versprechen, politisch Verfolgen Asyl zu geben, dieses Versprechen kassieren zu wollen, symbolisiert einen eklatanten Mangel an Geschichtsbewußtsein, Werteorientierung und Politikbeherrschung. Das jetzige Recht auf Asyl darf nicht geopfert werden, weil es Probleme durch viele Flüchtlingen gibt. Das heutige Grundrecht auf Asyl darf nicht als Reaktion auf Gewalt und ausländerfeindliche Übergriffe geplündert werden. Unser GG Art. 16 steht nicht zur Disposition. Denn das Asyl-Grundrecht gehört zu den unveräußerlichen Menschenrechten. Diese werden nicht eingeräumt oder großzügig gestattet. Sie gelten unabhängig von jeder Gesetzgebung und sind dem Zugriff des Gesetzgebers entzogen. Wir können stolz sein auf den Satz "Politisch Verfolgte genießen Asyl" ohne wenn und aber. Dieser Satz und diese Verpflichtung macht unser stehen hier vor der ehemaligen Synagoge und unser Gedenken an den Faschismus, den Holocaust und Massenmord erträglicher.

Ich schäme mich Deutscher zu sein: tagelang zog der braune Mop durch die Straßen in Rostock und anderswo und die Polizei schritt nicht ein. Viele hundert Schaulustige wohnten dem Terror passiv und teilweise zustimmend bei. Erinnerungen an die Reichskristallnacht und die Progrome der Nazis drängen sich auf. Viele Politiker gaben den Gewalttätern gegen Ausländer recht: sie machen doch nur deutlich, wie notwendig eine Grundgesetzänderung sei. Flüchtlingsheime wurden geräumt und der rechte Terror feierte Triumphe. Und dies geschah trotz einer sichern Erkenntnis im Umgang mit Rechtsradikalen: Will man sie erfolgreich bekämpfen, darf man ihnen kein Erfolgserlebnis gönnen. Gegen diese Weisheit wurde und wird oft verstoßen. Da kann man sich schon fragen, ob alle Demokraten wirklich so geeint sind im Wunsch, Rechtsextremismus nicht zuzulassen! Ein Grundrecht darf nicht geopfert werden, weder wegen gewalttätigen Ausschreitungen und rechtsextremen Stimmungen noch, so SPD-Ton "um bis zur nächsten Bundestagswahl mehrheitsfähig zu werden und bis dahin Ballast abzuwerfen".

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Unter diesem Grundgesetzmotto findet morgen eine große Demonstration in Berlin statt. Der oberste Verfassungsartikel spricht nicht vom deutschen Menschen. Er gilt für Deutsche und Ausländer. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Würde des Menschen, sogar seine körperliche Unversehrtheit wurde und wird angetastet. Besonders entsetzlich ist, daß Flüchtlinge verletzt wurden und werden, die vor Gewalt geflohen und besonders schutzwürdig sind. Wir verurteilen entschieden die ausländerfeindlichen Übergriffe. Auch in Korschenbroich fanden sie statt. Wir entschuldigen uns bei den Flüchtlingen, die Angst und Schrecken und schlaflose Nächte ausgestanden haben, gerade auch die Kinder.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Programmartikel des Grundgesetzes hat vor Übergriffen nicht wirksam schützen können. Auch das nach einer Grundgesetzänderung neue Asylrecht wird zu einem frommen Wunsch verkommen. Mit Gesetzesvorbehalt versehen kann es jederzeit weiter abgetakelt werden, mit einfacher Bundestagsmehrheit oder durch einfache Verordnungen sogar scheibchenweise bis zur Unkenntlichkeit verschwinden. Der Flüchtlinge verliert möglicherweise seinen individuellen Rechtsanspruch, der gerichtlich durchsetzbar ist. Damit wird der Kern des bisherigen Asylrechts, individueller Anspruch und Rechtsmittelgarntie, abgeschlafft. Wie wichtig gerade der Rechtsweg ist wird daran deutlich, daß nach Anrufen der Gerichte die Anerkennungsquote auf das doppelte ansteigt.

Um Flüchtlinge aus dem Asylverfahren rauszuhalten sollen Länder benannt werden, in den nicht verfolgt wird. Als Beispiel wird oft Rumänien genannt. Wie rechtswidrig Länderlisten sind zeigt die Tatsache, daß das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge allein im ersten Halbjahr 92 45 Rumänen als politisch Verfolgte anerkannt hat.

Flüchtlinge sollen in sogenannte "Sichere Länder", aus denen sie kommen, zurückgeschickt werden können. Da Flüchtlinge durch Visaeinschränkungen nicht mehr einfliegen können und Deutschland nur noch von sogenannten "sicheren Ländern" umgeben sein wird bedeutes diese Regelung praktisch, daß die BRD keinen Flüchtling mehr aufnehmen muß. Dann ist es mit der Solidarität mit Flüchtlingen und der Hilfe in internationalen Problemen entgültig vorbei. Dabei ist die Bundesrepublik für Fluchtursachen mitverantwortlich, z.B. liefert sie Waffen in die Türkei, beutet arme Länder aus durch ungerechte Welthandelsstrukturen und hohe Kredite.

Nach jeder Grundgesetzänderung kann für mich nur Unrecht am Asylsuchenden herauskommen. Wir werden dann Asylunrecht haben, und deswegen gilt jeglicher Grundgesetzänderung mein entschiedenes Nein!

Mit der Demonstration morgen möchte man das Bild vom häßlichen Deutschen in der Welt korrigieren. Wir werden uns damit auseinandersetzen müssen, daß wir häßliche und schöne Seiten haben.

Wieso kam und kommt es zu so häßlichen, zu so haßerfüllten Bildern. Die Gründe für die Gewalttätigkeiten und den wachsenden Rechtsextremismus sind vielfältig und grundsätzlich:

Es klafft besonders bei Jugendlichen zunehmend eine Kluft zwischen eingehämmerten Konsumwünschen einerseits und legalen Chancen, sich den Wohlstand zu leisten, andererseits. Dies führt zu einer Ellenbogenmentalität, zum Credo "Hast Du was, dann bist was". Zur Abgrenzung, was besseres zu sein, werden Sündenböcke gesucht: Asylbewerber, Homosexuelle oder andere Randgruppen.

Auch führen ungelöste politische Probleme und eine neue Unübersichtlichkeit bei vielen Menschen zu diffusen Ängste. Seit Jahrzehnten haben wir eine beständig hohe Zahl von Arbeitslosen, eine fortschreitende Umweltzerstörung, die Wohnungsnot wird immer stärker, die Zahl der Zuwanderer größer.

In den neuen Bundesländern verdichten sich die Probleme besonders. Sie werden nicht gelöst. Da ist die Ausländerfeindlichkeit sehr ausgeprägt, weil die neuen Bundesbürger zu DDR-Zeiten keine positiven Erfahrungen mit Ausländern machen konnten.

Dies alles ist nur durch eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik zu lösen.

Auch ist es wichtig, in einen engagierten und kämpferische Dialog mit Rechtsradikalen einzutreten, sie ins schwimmen zu bringen mit Themen, zu denen sie nichts zu sagen haben, zur Steuer-, Verkehrs- und Umweltpolitik z.B. So kann man ihre Faszination und einfachen Lösungsangebote entzaubern.

Wegen neuer Flüchtlinge verunsicherte Bürger sind mit in den Dialog einzubeziehen. Hier in Korschenbroich versuchen dies z.B. die Asylarbeitskreise.

Was ist bezogen auf Wanderungsbewegungen und Asylrecht zu Tun?

Seit über 20 Jahren ist die deutsche Flüchtlingspolitik auf Abwehr eingestellt. Das Asylrecht ist immer strenger geworden und das Ausländer- und Sozialhilferecht wurde immer mehr auf Abschreckung ausgerichtet. Flüchtlinge sollen in Sammelunterkünten mit Massenverpflegung zwangsernährt werden oder müssen - wie hier in Korschenbroich - nur in wenigen, teuren Geschäften einkaufen. Das ist Apartheit in Deutschland!

Demnächst sollen Flüchtlinge mit einem um 25% gekürzten Sozialhilfesatz auskommen: die perfide Begründung, sie hätten keine Ausgaben, um am kulturellen Leben teilzunehmen. Das ist Ausländerfeindlichkeit auf Amtsdeutsch. So werden Flüchtlinge unter das Existenzminimum getrieben und der Ausweg, sich illegal was zu besorgen, vom Staat verursacht. So macht unser Rechtsstaat Diebe! Kriminell! Menschenverachtend!

Die Strategie der Abschreckung ist gescheitert, die Zuwanderung wird auch in den kommenden Jahren zunehmen.

Es sind Konzepte einer neuen Flüchtlingspolitik zu entwickeln. Dazu gehören :

- Flüchtlinge schützen und Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen.

- Schuldenerlaß und umwelt- und sozialverträgliche Entwicklungshilfe für Osteuropa und die 3.Welt.

- gerechte Weltwirtschaftsstrukturen.

- Unzweideutiges und konsequentes Engagement für die Menschenrechte.

- Stopp der Waffenexporte.

- Wir fordern eine Altfallregelung für die 400000 nicht bearbeiteten Asylanträge. Die Bundesregierung will auch hier den Rechtsstaat abschaffen und plant das neue Asylrecht rückwirkend anzuwenden.

- Die Einrichtung eines besonderen Status für Bürgerkriegsflüchtlinge muß genutzt werden. Diese Kriegsopfer, z.Z. mehr als 1/3 aller Flüchtlinge, sollten nicht in das für sie aussichtslose Anerkennungsverfahren für politisch Verfolgte gezwungen werden. Sie sind sofort anzuerkennen im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention. Diese Möglichkeit wird im Augenblick verweigert, einmal damit die Kommunen keine Sozialhilfekosten zu tragen haben. Zum Anderen treibt man so die Asylbewerberzahlen künstlich in die Höhe und schafft ein Chaos und einen völlig unnötigen Druck auf eine Grundgesetzänderung. Dies ist ein eklatanter staatliche Mißbrauch des Asylrechts.

- keine Grundgesetzänderung, dafür schnelle und rechtsstaatliche Durchführung von Asylverfahren.

- Förderung der Integration von Ausländern, insbesondere in den neuen Bundesländern.

- Umfangreiche Programme für den sozialen Wohnungsbau. Dabei ist zu betonen, daß die Wohnungsnot vor allen durch die Zunahme an Einpersonenhaushalte und durch höhere Ansprüche und nicht durch Zuwanderung entstanden ist.

- Sozialarbeit und Gemeinwesenarbeit, damit Deutsche toleranter und aufnahmebereiter werden und Flüchtlinge unsere Regeln schneller kennen lerne.

- Öffentlichkeitsarbeit, die u.a. deutlich macht, daß Zuwanderung auch in unserem Interesse liegt: Die Industrieverbände z.B. betone, daß wir jährlich eine halbe Millionen Zuwanderer brauche können. Die geburtenschwachen Jahrgänge kommen erst noch und Ausländer führen Arbeiten aus, die Deutscher nicht tun möchten.

- Ein Einwanderungsgesetz muß her, daß den legalen Zugang zur BRD zwecks Arbeitsaufnahme und zur Überwindung der Armut ermöglicht. Eine alte Forderung der Grünen übrigens, der sich immer mehr anschließen.

- Nicht die Flüchtlinge, nicht das Asylrecht ist das Problem, sondern die Asyldebatte. Die Politiker haben Lösungen verweigert, eine Hysterie und Ängste geschürt und somit ausländerfeindliche Angriffe herbeigeredet. Aktuelles Beispiel und unverantwortlich ist es vom Staatsnotstand zu reden, nur weil Seiters keine 2000 Entscheider für die Anerkennungsverfahren anstellt kann und andere organisatorischen Probleme nicht gelöst werden. Dabei will ich die Schwierigkeiten, gerade für die Kommunen, nicht beschönigen. Die Kommunen werden aber auch mental und materiell und finanziell alleine gelassen. Wer vom Staatsnotstand redet lenkt von den eigentlichen Problemen ab. Hört auf Flüchtlinge, Wehrlose zu Sündenböcken einer verfehlten Wohnungs-, Sozial- und Wirtschaftspolitik zu machen.

Und ganz konkret, was können wir hier tun?

Helfen Sie mit, daß Fremdenhaß nicht wieder salonfähig wird, widersprechen Sie Vorurteilen, rassistischen Witzen.

Schauen sie nicht weg, wenn Ausländer auf der Straße angepöbelt werden. Sprechen Sie die anderen Menschen an, zeigen Sie Zivilcourage.

Nehmen Sie Kontakt zu Flüchtlingen auf, fragen Sie, ob Sie helfen können.

Schlagen Sie bei ausländerfeindlich Übergriffen Alarm.

Besuchen Sie die Asyl AKs in Korschenbroich jeden 2. Mittwoch im Monat ab 19 Uhr im ev. Gemeindezentrum oder in Kleinenbroich, Martin-Luther-Haus jeden 2. Donnerstag ab 20 Uhr.

Machen Sie mit bei Wachen vor Flüchtlingsheimen.

Martin Kresse

Martin Kresse * Von-Limburg-Str. 5

41352 Korschenbroich * Tel 02166/83904 Fax 135680
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