Pflegeversicherung

Versorgung demenzerkrankter Menschen verbessern

von Ulrike Kessing

ist Fraktionsgeschäftsführerin, und

Martin Kresse Sprecher des Arbeitskreises Soziales/Gesundheit

Die Pflegeversicherung wird´s schon richten. Trotz Skepsis war diese Hoffnung bei grünen SozialpolitikerInnen weit verbreitet. Alter und Pflegebedürftigkeit sollten nicht mehr Ursache dafür sein, dass die Betroffenen der Sozialhilfe anheim fallen. Dahinter verbarg sich nicht nur das selbstlose Interesse an einer menschenwürdigen Situation für die SeniorInnen, auch handfeste ökonomische Interesse spielten eine große Rolle: Örtliche und überörtliche Träger der Sozialhilfe stöhnten unter der von ihnen zu tragenden Last. Die Zeche hatten dabei in jedem Fall die Kommunen zu zahlen, entweder direkt bei der ambulanten Unterbringung oder indirekt (bei einer stationären) indirekt durch die Landschaftsumlage.

In der langen Debatte um die Ausgestaltung der Pflegeversicherung hatten wir Grüne ein gemeinsames Ziel: Wir wollten keine Erbenschutzeinrichtung, sondern eine qualitative Verbesserung für alte und pflegebedürftige Menschen erreichen. Möglichst vielen Menschen sollte der entwürdigende Sozialhilfebezug erspart bleiben. Ein selbstbestimmtes Leben sollte auch im Alter und bei Krankheit möglich sein.

Wir sehen heute, dass sich die Erwartungen nur zum Teil erfüllt haben. Richtig ist, dass (auch durch das Pflegewohngeld) weniger pflegebedürftige Menschen auf Sozialhilfe angewiesen sind, dass pflegende Familienangehörige Leistungen erhalten und die kommunale Familie massiv entlastet wurde. Die örtlichen und der überörtliche Sozialhilfeträger im Rheinland sparen rd. 1.350 Mio. DM, selbst wenn neue Aufgaben wie das Pflegewohngeld berücksichtigt werden, müssen die Sozialhilfeträger jährlich über 850 Mio. DM weniger aufwenden (Bericht des Landes zum Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes) .

Doch lassen wir uns durch die ökonomischen Fakten nicht den Blick auf die Menschen verstellen, auf die BewohnerInnen der Altenheime und auch auf die Pflegekräfte. Eine Anhörung des Sozialausschusses der Landschaftsversammlung Rheinland hat deutlich gemacht: In den Altenpflegeheimen sehen wir immer häufiger verwirrte alte Menschen, absolut wie prozentual. Je nach Untersuchung und Definition sind 40 % bis 70 % der BewohnerInnen der Pflegeeinrichtungen psychisch erkrankt. Dies hat zwei Ursachen: die steigende Lebenserwartung und der von uns gewünschte Ausbau der ambulanten Hilfesysteme.

Brisant und gefährlich wird diese Entwicklung durch den medizinisch geprägten Pflegebegriff der Pflegeversicherung, der den Pflegebedarf von älteren Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht angemessen berücksichtigt. Die Heime erhalten für diese Gruppe nicht den Betreuungsschlüssel, den sie für eine adäquate Betreuung benötigen. Überforderte MitarbeiterInnen sowie Vernachlässigung bis hin zu Menschenrechtsverletzungen und Übergriffen sind die Folge.

Die Bundesregierung hat bereits in einem ersten Schritt auf diesen Missstand reagiert. Die Leistungen für Tages- und Nachtpflege wurden angehoben. Doch das reicht nicht.

Wir können nicht warten, bis die Pflegeversicherung umfassend verbessert wird. Auch die kommunale Familie steht in der Verantwortung und muss jetzt handeln. Hierzu sind im Rheinland bereits konkrete Erfahrungen gemacht worden, nämlich mit dem Landesärztesystem in seiner Beratungs-, Fortbildungs- und Steuerungsfunktion und mit dem Personalzuschlagsverfahren. Diese sollten wieder aufgegriffen werden. Die LandesärztInnen boten den Altenheimen Beratung und Fortbildung an. Dadurch konnte die Qualität der Pflege von Menschen mit Altersdemenz-Erkrankungen deutlich verbessert werden. Dies trägt u.a. dazu bei, dass verwirrte alte Menschen eine angemessenere Pflegestufe erhalten.

Der Landschaftsverband Rheinland gewährte vor Einführung der Pflegeversicherung zudem rund 150 Heimen unter bestimmten baulichen und konzeptionellen Bedingungen einen Zuschlag zur gerontopsychiatrischen Pflege. Die Heime konnten mehr Personal einstellen und somit ihre KlientInnen besser betreuen. Diese Heimen stehen auch nach Einführung der Pflegeversicherung besser da, weil sie noch heute höhere Pflegesätze erhalten. Im Hinblick auf die Einführung der Pflegeversicherung erhielten die LandesärztInnen neue Aufgaben, und der Geronto-Zuschlag wurde abgeschafft. Heute sehen wir, dass im Interesse der Menschen beides wieder vonnöten wäre. Wir wünschen uns die Rückkehr zu den alten Standards.

Die Sozialhilfeträger haben eine sozialpolitische Verpflichtung. Die Pflegeversicherung war nie als Vollkaskoversicherung geplant, immer waren Zuzahlungen von privater oder öffentlicher Seite vorgesehen. Und immer noch begründet das individuelle Bedarfsdeckungsprinzip den Rechtsanspruch auf "Hilfe zur Pflege" nach § 68 BSHG. Zudem wurde bei Verabschiedung der Pflegeversicherung im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat vereinbart, dass rund die Hälfte der Einsparungen wieder in den Bereich der Pflege investiert werden sollen. Bis heute sind es laut Bericht des Landes zum Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes nur 37 % .

Wenn wir die Situation der dementen Menschen verbessern wollen, müssen wir jetzt handeln. Im Herbst kommt es zu Gesprächen zwischen den Landschaftsverbänden und den kommunalen Spitzenverbänden. Die CDU hat unsere Antragsinitiativen zum Wiederaufleben des Landesärztesystem und des Gerontozuschlags während der letzten Haushaltberatungen in der Landschaftsversammlung Rheinland abgeschmettert. Wir sollten die CDU in den Pflegekonferenzen und den örtlichen Sozialausschüssen zu einem klaren Bekenntnis zwingen. Die beiliegende Musterresolution könnte dabei hilfreich sein. Wir fordern darin den Landschaftsverband Rheinland auf, das Personalzuschlagsverfahren wiederaufzunehmen und die LandesärztInnen in ihren Beratungs- Fortbildungs- und Steuerungsfunktion vermehrt einzusetzen. Die Kommunalen Spitzenverbände sollen mit dem Landschaftsverband entsprechende Vereinbarungen treffen.

Die Grüne Fraktion in der Landschaftsversammlung hält zudem ein kleines Infopaket für alle bereit, die sich intensiver über das Landesärzteprogramm oder den Gerontozuschlag informieren wollen. Es kann unter T. 0221- 809 33 68 angefordert werden. Zudem veranstalten wir am Dienstag, 7. November 00 von 15 - 19 Uhr im Landeshaus Köln-Deutz eine Fachveranstaltung für die Kommunalfraktionen.


Resolution für die rheinischen Pflegekonferenzen und die Sozialausschüsse

an den LVR und die kommunalen Spitzenverbände:

Die Not demenzerkrankter Menschen mildern -

kommunal soziale Verantwortung wahrnehmen.

Der Pflegeversicherung liegt ein Begriff von Pflege zugrunde, der nicht den Pflegebedarf von älteren Menschen mit psychischen Erkrankungen angemessen berücksichtigt. Dies führt dazu, dass demente Menschen oft nicht die Pflege und Betreuung erhalten bzw. finanziert bekommen, die sie aufgrund ihrer Bedürfnisse und Erkrankung benötigen. Mit der wachsenden Zahl von dementen Menschen in den Altenheimen verschärft sich der Mangel. Selbst hochmotiviertes Pflegepersonal kann dies nicht dauerhaft ausgleichen: Vernachlässigung bis hin zur Übergriffen gegen Menschen mit Demenzerkrankung sind die Folge.

Festzustellen ist, dass sich die Versorgung im Rheinland nach der Einführung der Pflegeversicherung für demente Menschen verschlechtert hat. Durch die Fortbildungs- und Beratungsangebote der Landesärztinnen und -ärzte, die der Landschaftsverband Rheinland vorhielt, konnte in der Vergangenheit die Qualität in den Einrichtungen verbessert werden. Zudem gewährte der Landschaftsverband Rheinland bis 1996 Einrichtungen mit besonderem pflegerischen, konzeptionellen und baulichen Hilfsangebot für demenzkranke Menschen einen Personalzuschlag. Rund 150 Einrichtungen können deshalb noch heute aufgrund der damaligen Regelung durch höhere Pflegesätze mehr Personal und angemessene Hilfen vorhalten.

Durch die Einführung der Pflegeversicherung wurden diese Programme bisher nicht fortgeführt. Eine Ungleichbehandlung der Pflegeeinrichtungen und der von ihnen betreuten Menschen ist die Folge. Angesichts der sich verschärfenden Situation fordern wir den Bundesgesetzgeber auf, den besonderen Bedürfnissen demenzkranker Menschen im SGB XI Rechung zu tragen.

Doch auch die kommunale Familie ist in der Verantwortung: Sie hat unverändert nach BSHG in der Altenhilfe eine Gewährleistungspflicht und als einzige öffentliche Hand finanziell von der Pflegeversicherung profitiert. Bisher wurden nur 37 % (Bericht der Landesregierung zur Umsetzung PfG NW), nicht 50 % wie im Bundesratsverfahren verabredet, reinvestiert.

Wir fordern daher den Landschaftsverband Rheinland auf, dass Personalzuschlagsverfahren wiederaufzunehmen und dazu die Landesärzte mit ihren Beratungs-, Fortbildungs- und Steuerungsfunktion vermehrt einzusetzen.

Die kommunalen Spitzenverbände werden aufgefordert, mit dem Landschaftsverband Rheinland entsprechende Absprachen zu treffen.

Martin Kresse * Von-Limburg-Str. 5

41352 Korschenbroich * Tel 02166/83904 Fax 135680
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