Martin Kresse - Diskussionsstatement: "In Würde alt werden - Wie Politik verwirrten alten Menschen helfen kann!"

7. November 2000

Verehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir suchen eine Antwort auf unser Tagungsthema: "In Würde alt werden - Wie Politik verwirrten alten Menschen helfen kann!"

In der langen Debatte um die Ausgestaltung der Pflegeversicherung hatten wir Grüne gemeinsame Ziele: Wir wollten eine qualitative Verbesserung für alte und pflegebedürftige Menschen erreichen. Ein selbstbestimmtes Leben sollte auch im Alter und bei Krankheit möglich sein. Möglichst vielen Menschen sollte der entwürdigende Sozialhilfebezug erspart bleiben.

Wir sehen heute, dass sich die Erwartungen nur zum Teil erfüllt haben. Am deutlichsten sind die finanziellen Erwartungen eingetreten:

Richtig ist, dass auch durch das Pflegewohngeld prozentual die Zahl der Pflegeheimbewohner, die Hilfe zur Pflege nach dem BSHG erhalten, um fast 30 % zurückgegangen ist, das pflegende Familienangehörige Leistungen erhalten und die kommunale Familie massiv entlastet wurde. Der Landschaftsverband Rheinland spart etwas über 700 Mio. DM jährlich, selbst wenn neue Aufgaben wie das Pflegewohngeld berücksichtigt werden.

Trotz dieser wirtschaftlichen Vorteile müssen wir heute erneut auf gravierende Defizite hinweisen und aufmerksam machen auf brisante und gefährliche Entwicklungen: der medizinisch geprägten Pflegebegriff der Pflegeversicherung berücksichtigt den Pflegebedarf von älteren Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht angemessen. Die Heime erhalten für diese größer werdende Gruppe nicht den Betreuungsschlüssel, den sie für eine adäquate Betreuung benötigen. Überforderte MitarbeiterInnen sowie Vernachlässigung bis hin zu Menschenrechtsverletzungen und Übergriffen sind leider die Folge.

Die Bundesregierung hat bereits in ersten kleinen Schritten auf diesen Missstand reagiert. Die Leistungen für Tages- und Nachtpflege wurden angehoben. Auch hat der Gesetzgeber bei der Unterbringung in vollstationären Einrichtungen u. a. wegen des neuen Lebensmittelpunktes psychosoziale Betreuungsleistungen anerkannt und den Leistungskatalog in § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XI erweitert. Die Rechtsprechung hat darauf reagiert. So hat der 3. Senat des Bundessozialgerichts am 10. Febr. 2000 entschieden:

"Bei der für den Vergütungsanspruch des Pflegeheims maßgebenden Zuordnung eines Pflegebedürftigen zu einer Pflegeklasse ist ein darüber hinausgehender Pflegeaufwand einschließlich der Maßnahmen der Behandlungspflege und der sozialen Betreuung zu berücksichtigen."

Wir hoffen, dass dieses Urteil Schule macht und Betroffene notwendige soziale Betreuungsleistung und -kosten einklagen.

Verbesserungen soll das aktuell im Bundeskabinett verabschiedete Pflege-Qualitatssicherungsgesetz bringen: Es soll die Eigenverantwortung der Einrichtungsträger und die Verhandlungsqualität stärken durch die Einführung von Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen. Pflegequalität soll weiterentwickelt werden und Verbraucherechte gestärkt werden.

Beabsichtigt sind Leistungen für dementiell Erkrankte zur Entlastung der Familien mit der Einführung der Tagespflege 1 mal wöchentlich.

Trotz dieser Verbesserung auf Bundesebene stellt sich auch hier im Tagungsverlauf immer häufiger die Frage, ob die finanziellen Grundlangen der Pflegekasse für eine menschenwürdige Pflege ausreicht. So müssen wir meiner Meinung nach verstärkt Anstrengungen unternehmen, die Einnahmegrundlage für die Pflegeversicherung zu verbessern. Unsere Forderung: Nicht wie geschehen der Pflegekasse Beiträge entziehen durch die Absenkung der Beitragszahlungen für Langzeitarbeitslose, sondern im Gegenteil: z.B. die Beitragsbemessungsgrenze anheben und auch Beamte in die Pflegekasse einzahlen lassen, Miet- und Zinseinnahmen sozialversicherungspflichtig machen usw..

Immer mehr Grüne wollen einen gesellschaftliche Diskussion mit dem Ziel, mehr für die Pflege aufzuwenden, damit sie menschenwürdig bleibt. Unterstützen Sie uns dabei.

Aber wir können nicht warten, bis die Pflegeversicherung umfassend verbessert wird. Die Sozialhilfeträger haben eine sozialpolitische Verpflichtung. Die Pflegeversicherung war nie als "Vollkaskoversicherung" geplant, immer waren Zuzahlungen von privater oder öffentlicher Seite vorgesehen. Und immer noch begründet das individuelle Bedarfsdeckungsprinzip den Rechtsanspruch auf "Hilfe zur Pflege" nach § 68 BSHG. Zudem wurde bei Verabschiedung der Pflegeversicherung im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat vereinbart, dass rund die Hälfte der Einsparungen wieder in den Bereich der Pflege investiert werden sollen. Bis heute sind es laut Bericht des Landes zum Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes nur 36 % .

Auch die kommunale Familie steht in der Verantwortung und muss jetzt handeln. Hierzu sind im Rheinland bereits konkrete Erfahrungen gemacht worden, nämlich mit dem Landesärztesystem und mit dem Personalzuschlagsverfahren. Diese sollten wieder aufgegriffen werden. Die LandesärztInnen boten den Altenheimen Beratung und Fortbildung an. Dadurch konnte die Qualität der Pflege von Menschen mit Altersdemenz-Erkrankungen deutlich verbessert werden. Dies trägt u.a. dazu bei, dass verwirrte alte Menschen eine angemessenere Pflegestufe erhalten.

Der Landschaftsverband Rheinland gewährte vor Einführung der Pflegeversicherung zudem rund 150 Heimen unter bestimmten baulichen und konzeptionellen Bedingungen einen Zuschlag zur gerontopsychiatrischen Pflege. Die Heime konnten mehr Personal einstellen und somit ihre KlientInnen besser betreuen. Diese Heimen stehen auch nach Einführung der Pflegeversicherung besser da, weil sie noch heute höhere Pflegesätze erhalten. Eine Ungleichbehandlung der Einrichtungen und der von ihnen betreuten Menschen ist die Folge. Denn durch die Einführung der Pflegeversicherung wurden das Personalzuschlags- und Landesarztsystem nicht fortgeführt. Heute sehen wir, dass im Interesse der Menschen beides wieder vonnöten wäre. Wir wünschen uns die Rückkehr zu den alten Standards der bedarfsgerechten Weiterentwicklung.

Wenn wir die Situation der dementen Menschen verbessern wollen, müssen wir jetzt handeln. Die CDU hat unsere Antragsinitiativen zum Wiederaufleben des Landesärztesystem und des Gerontozuschlags während der letzten Haushaltberatungen in der Landschaftsversammlung Rheinland abgelehnt. Wir sollten bei der CDU für die Interessen der alten Menschen werben, in den Pflegekonferenzen, den örtlichen Sozialausschüssen und bei den kommenden Haushaltsberatungen. Die ausliegende Musterresolution könnte dabei hilfreich sein. Wir fordern darin den Landschaftsverband Rheinland auf, das Personalzuschlagsverfahren wiederaufzunehmen und die LandesärztInnen in ihren Beratungs- Fortbildungs- und Steuerungsfunktion vermehrt einzusetzen. Die Kommunalen Spitzenverbände sollen mit dem Landschaftsverband entsprechende Vereinbarungen treffen.

Ich fasse zusammen und freue mich auf eine lebhafte Diskussion:

Martin Kresse * Von-Limburg-Str. 5

41352 Korschenbroich * Tel  02166/83904 Fax 135680
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