An Herrn
Landrat Dieter Patt
Kreisverwaltung
Lindenstraße 2-10
41515 Grevenbroich
Antrag zur Kreistagssitzung am 11. Februar 98
Sehr geehrter Herr Landrat,
in der Sitzung des Ältestenrates am 2.2. hat Herr Sahnen als Fraktionsvorsitzender der CDU zugesichert, daß in der von seiner Fraktion beantragten Sondersitzung des Kreistages am 11.2. eine Sachdebatte über den Strukturwandel im Kreis Neuss im Mittelpunkt stehen wird und seine Fraktion dazu einen entsprechenden Antrag einbringen wird. Dieser Antrag liegt uns seit dem 4.2. vor. Im Rahmen ihrer Haushaltsklausurtagung in Langwaden hat die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen den Antrag beraten und sich entschlossen, einen eigenen einzubringen.
Wir bitten Sie, den folgenden (Änderungs-) Antrag in die
Tagesordnung aufzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Kreistagsfraktion
Bündnis 90 / Die Grünen
gez. Erhard Demmer
Der Kreistag möge beschließen:
"Den Strukturwandel steuern und gestalten -
zukunftsfähige Arbeitsplätze und nachhaltige
Entwicklung initiieren"
Ziele
Dazu werden
Umsetzung
Ziel des Forums ist es, die wirtschaftlichen und politischen Akteure in die Steuerung des Strukturwandels einzubinden sowie interne und externe Beratung zu nutzen.
Für Beiträge sollten folgende "Akteure" gewonnen werden (nicht abschließend):
kompetente Vertreter des Wirtschafts- und Umweltministeriums,
des RWE, von Rheinbraun, der Gewerkschaften, des Handwerks, der
IHK, der Landwirtschaft, der Kirchen, des Prognos-Instituts bzw.
des Instituts der deutschen Wirtschaft und des Öko-Instituts.
Als Vertreter des Kreistages nehmen der Landrat, je ein Vertreter
der Fraktionen und die Kreisverwaltung (Amt für Wirtschaft)
teil.
Begründung:
Die Begründung ergibt sich aus dem Antragstext.
Weitere Erläuterungen folgen:
Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung:
Warum sollte die heutige Sondersitzung ursprünglich stattfinden?
Welches Ziel sollte sie verfolgen?
Über die örtliche Presse angekündigt, legte die CDU-Fraktion im Kreisausschuß am 21. Januar einen formlosen, handgeschriebenen Antrag vor, der auch inhaltlich jede Qualität vermissen ließ.
(Antrag wird vorgelesen)
Was ist dieser Antrag, den der Landrat als solchen, den Inhalt betreffend, nicht zuließ:
Nichts anderes als eine Trotzreaktion auf den Jüchener Parteitag von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN. Eine Trotzreaktion, die an einen Spruch Rolf Rüßmanns erinnert:
"Wenn wir das Spiel schon nicht gewinnen
können, treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt."
Andrea Schmitz, Redakteuerin der WZ, bewertete dies treffend so:
"Die Forderung der CDU erscheint denn auch mehr als ein weiterer Akt im politischen Schauspiel um den Tagebau denn eine ernsthafte Forderung."
Friedhelm Ruf, stellvertretender Redaktionschef
der NGZ, schrieb dem CDU-Fraktionsvorsitzenden folgendes ins Stammbuch:
" Damit zeigte Sahnen ja deutlich, worum es der Union im
Kreisausschuß eigentlich ging: um die werbewirksame Platzierung
einer Sondersitzung in jener Turnhalle, in der die Bündnisgrünen
waren und um genausoviel Geld, wie Bärbel Höhn es für
ihre Gutachten in Sachen Wasserwirtschaft bekommt. Das allein
kann aber nicht Sinn der Sondersitzung sein."
An einem solchen ideologischen Schaulaufen
teilzunehmen, verspürten wir nicht die geringste Lust und
haben früh deutlich gemacht, daß diese unproduktive
Art von Vergangenheitsbewältigung ohne uns stattfinden wird.
Nun gibt es zwar heute eine Sondersitzung aber nicht in der Turnhalle in Jüchen, das Thema Braunkohle ist nur Teil der Beratung, die 2 Millionen sind vom Tisch - über Perspektiven für den Kreis Neuss, über zukunftsfähige Arbeitsplätze und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu streiten, da sind wir gerne dabei, das haben wir am 21. Januar im Kreisausschuß gesagt und das wiederholen wir heute gerne.
Unser Antrag mit dem programmatischen Titel
"Den Strukturwandel steuern und gestalten - zukunftsfähige
Arbeitsplätze und nachhaltige Entwicklung initiieren"
ist ein Antrag, der in die Zukunft blickt, ein Antrag, der die
Welt nicht neu erfindet, aber ein Antrag, der das Vorgedachte
bündelt, das Neugedachte integriert und beides mit einer
klaren Zielsetzung versieht.
Die Kreistagsfraktion Bündnis 90
/ DIE GRÜNEN geht davon aus, daß sich die ökonomischen
Entwicklungen, die mit den Stichworten Globalisierung, Produktivitätssteigerung
und Strukturwandel nur grob umrissen sind, in naher Zukunft kaum
ändern werden, daß sich aber der Strukturwandel politisch
und ökonomisch steuern lassen kann.
Voraussetzung dafür ist aber, anzuerkennen, daß sich die Braunkohleregion, und so auch der Kreis Neuss, in einem strukturellen Wandel größten Ausmaßes befinden:
Zwischen 1990 und 1996 fielen im Kreis Neuss
8.000 Arbeitsplätze im sekundären Sektor weg, die dramatischen
Entwicklungen des letzten Jahres also noch nicht mitgerechnet,
10.000 neue Arbeitsplätze wurden im tertiären Bereich
geschaffen.
Um so mehr verwundert es, daß Teile von
Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften entgegen jeglicher politischer
und ökonomischer Rationalität ein Projekt verteidigen,
daß entweder dauerhaft subventioniert werden muß oder
von den Entscheidungsträgern des RWE-Konzerns in naher Zukunft
aufgegeben wird. Letzteres ist wahrscheinlicher, denn "Die
Unternehmen der öffentlichen Elektrizitätsversorgung
sehen sich mit einem grundlegenden Wandel ihres Umfeldes konfrontiert.
Dieser wird einen Umbruch der gesamten Branchenstruktur zur Folge
haben und die Unternehmen zum kritischen Überdenken ihrer
Position im künftigen Strommarkt, ihrer unternehmerischen
Ziele und Strategien und wohl auch zum Beschreiten neuer Wege
veranlassen." Dieses Zitat ist der erste Satz einer Studie
der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) über
die "Strategie-Opitonen deutscher Elektrizitätsunternehmen
im wettbewerblichen Umfeld" und wenn Ende Februar die Mehrfachstimmrechte
der Kommunen "versilbert" werden, dann bestimmt nicht
mehr parteipolitischer Filz, sondern die höchste Gewinnmarge
alleine und absolut die Unternehmenspolitik des RWE-Konzerns.
Damit wird die Prognose von Prof. Dr. Hennicke, "Garzweiler
II wird das Wackersdorf der Kohlewirtschaft", immer wahrscheinlicher.
Um es ganz deutlich zu sagen:
Wenn der RWE Aufsichtsrat Energie weiterhin
Gelder in die Planung des Aufschlusses von Garzweiler II steckt,
gefährdet er Arbeitsplätze, die regionale Wirtschaftskraft
und das Unternehmen selbst.
Der RWE-Konzern hat sich bereits von einem
reinen Energiekonzern zu einem internationalen Mischkonzern gewandelt.
Vielfältige Erfahrungen mit Diversifizierungen liegen also
vor. Garzweiler II ist da nur ein Symbol für altmodisches
Festhalten an Bewährtem, ein Festhalten, das - wie bei den
Werften, der Stahlindustrie und der Steinkohle - versucht, die
Probleme hinauszuschieben.
Meine Damen und Herren,
die Kreistagsfraktion Bündnis 90
/ DIE GRÜNEN schlägt mit den in ihrem Antrag enthaltenen
Zielsetzungen eine andere politisch-ökonomische Entwicklungslogik
vor. Die Schaffung von zukunftsweisenden Arbeitsplätzen ist
nur durch den Einstieg in eine ökologische Dienstleistungsgesellschaft
zu erreichen. Wir verteidigen damit - wenn Sie so wollen - die
Zukunft gegen die gegenwärtige Orientierung an der Vergangenheit.
Wir setzen auf kleinere und mittlere Betriebe, in denen tatsächlich noch innovatives Potential mit der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen einhergeht.
Wir setzen auf ein Netzwerk neuer Dienstleister
mit Industriebetrieben, wissenschaftlichen Einrichtungen, dem
Handwerk und anderen Akteuren.
Wir besinnen uns auf die eigenen Potentiale des Kreises und der Region, und wir sagen, daß der Kreis Neuss nur im Konzert der Kreise und großen Städte in der Region diese Potentiale nutzen kann.
Wir ignorieren dabei die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene, wie sie im IHK-Gutachten (S. 13 f) - etwas zu pessimistisch - zum Ausdruck kommen, aber wir meinen, daß diese erweitert werden können.
Deshalb schlagen wir zur Umsetzung der Ziele
und Ideen vor, die Landesregierung in unsere Bemühungen,
zukunftsfähige Arbeitsplätze und nachhaltige Entwicklung
zu initiieren, einzubeziehen.
Wie eine solche Entwicklung konkret auszusehen
hat, dazu brauchen wir auch externe, professionelle Beratung und
- weil der Kreis und die Region dies nicht alleine bezahlen können
- Landesmittel. Dabei verlieren wir nicht die Potentiale aus den
Augen, die im Kreis Neuss beheimatet sind.
Beiden Aspekten trägt das vorgeschlagene Forum Rechnung: Nur, wenn die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Akteure in den Prozeß eingebunden werden, wird eine Entwicklung auch stattfinden.
Das Forum soll keine Honoratioren-Veranstaltung sein, sondern eine Art Fachkongreß mit intensiver Arbeit an der Sache.
Es bereitet quasi die Regionalkonferenz vor, die von der Erkenntnis geleitet wird: Ein Kreis, so selbstbewußt er auch ist, kann sich nur in und mit der Region weiterentwickeln.
Die Regionalkonferenz, die ja einige Vorläufer kennt, soll den Versuch unternehmen, die verschiedenen Potentiale der unterschiedlichen Gebiete zu koordinieren und eine eigene Identität als Region zu konstituieren, die bis dato nicht existiert.
Wir verkennen nicht die Schwierigkeiten dieses
Unterfangens, wir wissen selbst, wie kompliziert das Verhältnis
der Städte und Gemeinden im Kreis Neuss zum Kreis Neuss ist.
Aber: Gibt es eine andere Perspektive?
Eine Sondersitzung des Kreistages zum Thema
"wirtschaftlicher Strukturwandel" kann nicht die Probleme
lösen, aber sie kann den Blick auf das Wesentliche lenken
und Handlungsoptionen öffnen.
Der Antrag von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN will beides:
Wir denken, daß er eine gute Grundlage für
die weitere politische Arbeit darstellt und bitten um Annahme.
Dies ist mein Sprechzettel für die Fraktion im Rahmen
ihrer Haushaltsklausurtagung in Langwaden, mit Stichworten für
eine grüne Argumentation/Antrag
1a) Das Genehmigungsverfahren für die
wasserrechtliche Erlaubnis ist ergebnisoffen und nach Recht und
Gesetz abzuwickeln.
1b) Die Erfahrung zeigt (Brent-Spar, Wackersdorf), daß die Politik entgegen ökonomischer Rationalität Projekte länger verteidigt als die Wirtschaft (Brent-Spar-Syndrom).
Folglich:
Vieles spricht dafür, daß Garzweiler II nicht kommt.
Der Strukturelle Wandel kommt auf jeden Fall!
2) Der Kreis Neuss ist ein überdurchschnittlich starker Wirtschaftsstandort.
2a) Erst in etwa 10 Jahren macht sich Verzicht auf Garzweiler II bemerkbar.
2b) Der Rheinbraun Mutterkonzern RWE ist schon mit gutem Beispiel vorausgegangen und hat sich von einem reine Energiekonzern hin zu einem internationalen Mischkonzern entwickelt. Es liegen also vielfältige Diversifizierungserfahrungen vor.
2c) Die Rheinbraun Mitarbeiter sind hochqualifiziert im Metall-
und Elektrogewerbe und wg. Ihres guten Ausbildungsstandes bestens
auf eine Diversifizierung vorbereitet.
Der Kreistag möge beschließen: